wanderlust = n, [won-der-luhst], a strong innate desire to rove or travel about

31.08.2014

Erklären Sie mir die Wirtschaftskrise, Herr Maurer!

Gescheit gemütlich 

Thomas Maurer gibt Antworten


© Ingo Pertramer
Ich lese von ihm, wenn er mit zwei anderen zeltet, um sein Essen selbst zu jagen und letztendlich doch im Wirtshaus landet. Ich sehe ihn, wenn er sich über die aktuellen Krisenherde der österreichischen Innenpolitik lustig macht. Am 13. September 2014 stellt er sich im Kino im Kesselhaus auf die Bühne und erklärt seinem Publikum worum's eigentlich geht in der Weltwirtschaft, inkl. Krisengespräch. Die Rede ist von Thomas Maurer, dem Kabarettisten und Reporter sowie Kolumnisten (gemeinsam mit Florian Scheuba) des Magazins Á la Carte. Mit seinem neuen Programm „Neues Programm“ – Kritik an der voreiligen Titelsuche, um möglichst früh Marketing betreiben zu können? – gastiert der Wiener also endlich in Krems. Am Kutschkermarkt im 18. Wiener Gemeindebezirk lassen wir uns bei Pöhl's Käsestand auf Mohnweckerl mit Liptauer nieder. Wohl bekomm's!


Sie kommen immer wieder an die Tore der Wachau zurück, diesmal nicht (nur) des Weines wegen, sondern durch Ihr neues Programm "Neues Programm", wie schätzen Sie Ihr Publikum hier am Land ein? Immerhin sind Sie ja das Städtische gewohnt...

Ich bin Wein-Freund und seit 30 Jahren relativ regelmäßig in der Wachau. In letzter Zeit etwas weniger. Nach meiner Erfahrung unterscheiden sich Vorstellungen untereinander mehr als dass man ein Stadt-Land-Gefälle hat nicht. Also, ich mache das seit 25 Jahren und ich könnte nicht sagen, dass gewisse Dinge am Land verlässlich besser aufgehen. Es gab Programme, wo ich mich im Vorfeld ein bisschen gefürchtet habe - Menschenfreund war eines davon - weil ich dachte, dass ich eine sehr städtische Type auf die Bühne stelle. Da ging's um das ganze verbürgerlichte, versulzte ehemalige Alternativlager, dann hat sich herausgestellt, dass zumindest in Auszügen auch in den kleinsten Ortschaften irgendwo in einem Tiroler Tal, da hat diesen Lebensstil der Lehrer - man kennt sie auf jeden Fall. Auch weil wir medial zusammen gewachsen sind. Die Riesenunterschiede, dass man am Land nur Witze über willige Mädchen machen darf und in der Stadt über Gugelhupf und Konditorei, das gibt's nicht mehr.

Keine Zwischenrufe...?

Kaum. Es gibt schon regionale Spezifika, wie zum Beispiel in Kärnten habe ich eine Zeit lang schon bemerkt, 1. in welchen Gemeinden ich überhaupt noch spielen kann und das waren dann ganz wenig. Und 2. welche Leute dort hin gehen. Das hat dann bestimmt einen gewissen Deklarationsdruck erzeugt. Das ist natürlich etwas anderes. Da funktionieren gewissen Dinge, wenn du dich mit der gesamten BZÖ-Geschichte befasst hast, und bemerkst, dass das ein ganz anderes Unterfutter hat, als wenn du das in Wien spielst.

Kulturpolitik in Niederösterreich ist sehr stark mit dem Landeshauptmann (ÖVP) verbunden. Wie ist Ihre Einschätzung diesbezüglich? 

Sehr ambivalent. Es ist natürlich sehr viel geschaffen worden, aber auf der anderen Seite ist es natürlich schon so, dass etwas sanft Totalitäres zu spüren ist. (lacht)

Ich selbst kenne zum Beispiel nur Erwin Pröll als Landeshauptmann von Niederösterreich. Für mich gibt es kein anderes Bild. 

Das wird sich schon noch ändern... Es hat so seine dialektischen Komponenten. Nur ein autoritärer Landeshauptmann mit so unbeschränkter autokratischer Machtfülle kann Dinge durchziehen, wie das Deix-Museum oder das Nitsch-Museum oder das Rainer-Museum. Diese Museen hätte jemand, der auf die Stimmung schaut, ob das auch wirklich beliebte Künstler sind, nicht getraut. Der aufgeklärte Absolutismus hat schon was. (lacht)

Man hört natürlich auch von jüngeren, bildenden KünstlerInnen, dass in Niederösterreich sehr schnell und sehr viel gemacht wird in der Kunstszene, wie anderswo. 

Das wird wohl so sein. Das ist nicht meine Kernkompetenz.

Haben Sie von der Wachauer Nase von gelitin gehört, die an der Fährenanlegestelle in St. Lorenz ihren Platz gefunden hat? 

Ja genau. Wenn man gelitin etwas kennt, sollte man denen sagen, die sich aufregen, dass sie froh sein sollen, dass sie nicht das Wachauer Zumpferl kriegt haben. Wobei ich diese Nase persönlich sehr lustig finde. Ich erinnere mich noch an den Empörungsaufschrei Niederösterreichweit als der Dürnsteiner Kirchturm nach Originalvorlagen wieder Blau war, statt dem üblichen Schönbrunner-Gelb. Da hat man eben festgestellt, dass der im Barock eigentlich Blau war - das macht ja einen fantastischen Effekt - aber die Aufregung war groß, die Kronenzeitung-Leserbriefe unzählbar, vom Untergang des Abendlandes war die Rede.

Wie immer, bei uns. Welchen Bezug haben Sie zur zeitgenössischen Kunst?

Ich bin ein doch intensiver Kulturkonsument, wobei ich leider am Abend sehr wenig ins Theater oder Konzert komme, weil ich da selbst viel spiele. Das überlegt man sich vorher zu wenig, dass ein Bühnenberuf extrem kulturfeindlich ist. Sonst bin ich von teilweise Klassik -   erst langsam erarbeitet, denn damit bin ich nicht aufgewachsen - über Jazz und zeitgenössische, intelligentere Popmusik über Film offen... ich lese auch sehr viel. Das läuft ständig durch, ist ein bisschen so wie Essen und Trinken für mich.

Ich hab Ihr Programm schon im Stadtsaal gesehen. 

Ahja,...in Krems müssen wir ohne Bühnenrauch auskommen - sonst kommt am ganzen Uni-Campus die Feuerwehr.

Das wär doch auch einmal lustig... Im Programm geht's um Politisches, aber auch vorwiegend um die Wirtschaftskrise: Woher kommt der Anspruch politisches Kabarett zu machen, und jetzt mehr und mehr in die Wirtschaft einzugehen?

Naja, weil das mehr oder weniger das gleiche ist. Wir haben in den letzten 30 Jahren einen Siegeszug einer Ideologie gesehen, die alles getan hat um die Kompetenzen aus der politischen in die wirtschaftliche Sphäre zu verlagern und dann braucht man sich nicht wundern, dass plötzlich nicht-gewählte Institutionen auch nominell in Demokratien politische Entscheidungen treffen. Dass da jetzt allgemeines Erstaunen darüber herrscht, ist - lieb - war aber eigentlich absehbar und insofern sind das natürlich die großen Weichen. Ich glaube, dass ein sperriges Thema wie das Handelsabkommen mit Kanada und im Weiteren mit den USA, wird für die nächsten Generationen weitaus mehr politische Folgen haben, als ob jetzt der Strache sich irgendwann in einer Regierung blamieren darf oder nicht.

Ist das reines, persönliches Interesse von Ihnen oder hat sich das so ergeben? 

Es ist an und für sich für Satiriker nicht so falsch, wenn sie sich für die Welt in der sie leben interessieren. Und wenn man das tut, dann kommt man auf gewissen Fragestellungen. Abgesehen davon, dass ich Bühnenvermischungen von amerikanischen Stand-Up und anderen Formen verwende, was zu unerwarteten Wendungen führt, ist ein Teil des Programms auf die Wirtschaftskrise angelegt, die ja über uns gegangen ist wie ein Atlantiktief. Das Thema wird ja zunehmend naturwissenschaftlich erklärt. Ich denke, dass das beste Kennzeichen einer totalitären Ideologie ist, wenn sozusagen quasi-naturwissenschaftlich argumentiert wird. Rassismus war auch einmal eine Naturwissenschaft. Der wissenschaftliche Marxismus an den kann ich mich noch erinnern. Und die Marktgesetze, die so dargestellt werden, als wären sie Naturkonstanten wie Lichtgeschwindigkeit. Das ist einfach idiotisch. Jedem, der das sagt, dem müsste vor Scham die Zunge herausfallen. Die meisten merken das aber gar nicht. Und deshalb finde ich es ganz reizvoll mich damit zu befassen. Es ist das Privileg, dass ich mich beruflich mit solchen Dingen beschäftigen kann, zu denen man privat gar nicht kommt. Auch wenn die Berichterstattung mit überdurchschnittlicher Aufmerksamkeit verfolgt habe, musste ich mich dennoch danach noch einige Wochen auf meinen Hintern setzen und Bücher lesen und noch mehr Fakten recherchieren um zu erkennen, was da wirklich los war. Da hab ich ein grobes Bild gehabt, was überhaupt passiert ist. Diese Erkenntnis wollte ich auf eine kurzweilige Weise teilen.

Das ist eindeutig gelungen. Können Sie von sich behaupten, dass Sie die Wirtschaftskrise verstanden haben? 

Der Vernetzungsgrad ist enorm hoch und es ist nach wie vor sehr vieles nicht bekannt. Ich glaube auch fest an diese Geschichte aus den Zeitungen, dass ab 2008 die goldenen Zeiten des globalen, organisierten Verbrechen angebrochen sind. In der gesamten Kredit-Klemme, als sich alle verzweifelt nach Liquidität gesehnt haben, konnten sämtliche, kriminellen Organisationen der Welt Geld waschen so viel sie wollten. Alle haben gesagt "Danke" und alle Staaten haben weggeschaut, damit nichts Schlimmeres passiert. Ich denke, dass es da keine qualifizierten Schätzungen gibt wie viel Prozent der offiziellen Wirtschaft ursprünglich gar keine offizielle Wirtschaft war. Da verschränken sich die Sphären der Modalitäten. Im 19. Jahrhundert sind die Engländer noch in China einmarschiert, weil die Chinesen nicht wollten, dass die Engländer dort Opium verkaufen. Würde man so heute nicht mehr machen bzw. dem müsste man einen ganz anderen Spinn geben für die Nachrichten.

In eine gute Nachricht verwandeln - positives Marketing. 

Ja, genau.

Ich versuche auch persönliche up-to-date zu bleiben, was in der Wirtschaftswelt passiert. Aber das Privileg sich wirklich hinzusetzen und sich stunden- oder wochenlang damit zu befassen, das ist wie ein eigenes Studium. 

Die Ressourcen in den Redaktionen bröckeln weg. Zeitungen sind ein matter Abklatsch von dessen was sie einmal waren, ein noch matterer dessen, was sie eigentlich sein sollten.

Von der Kultur müssen wir da gar nicht anfangen...

Der Klassik geht's immer noch gut. (lacht)

Neben Ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Kabarettist, schreiben Sie mehr oder weniger genüssliche Reportagen und Kolumnen für das Lifestyle-Magazin À la Carte. Die Reportage „Überleben“...

Das war sehr lustig...

Das kann ich mir vorstellen. Dabei gingen Sie auch auf vergebliche Nahrungssuche, das ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Da geht's sehr stark um Nachhaltigkeit und woher Nahrung kommt - beim Fleischhauer zum Beispiel... 

Ja, Schweindl abstechen.

Wie ist da Ihr Zugang dazu, Sie sind ja aus Wien - aufgewachsen in der Stadt... 

Ich hab aber Verwandte, die auf dem Land leben. Ganz fremd ist mir das nicht. Also mein Vater und meine Mutter sind jeweils erste Generation in Wien. Mein Vater ist mit seinen Eltern nach Wien gezogen, aber die Großeltern waren Bauern - auf beiden Seiten. Das Ambiente ist mir nicht fremd, obwohl ich selbst nie Bauer war. Das Interesse und woher unsere Nahrung kommt, sollte meines Erachtens jeder haben, der überhaupt Fleisch isst. Nach wie vor herrscht der bizarre Zustand, dass eh jeder weiß, dass es so nicht geht, aber dies völlig konsequenzenlos bleibt. Wenn wir da jetzt 20 Leute fragen würden, ob die Fleischhaltung im Westen in Ordnung ist, sagt jeder "Nein". Da gibt's das Buch von Jonathan Safran Foer, wo er ja auch am Anfang schreibt, wie er Freunden und Bekannten erzählte, dass er über Fleischproduktion schreiben würde. Alle sind davon ausgegangen, dass es sich um ein Vegetarier-Buch handeln MUSS. Das ist schon ganz interessant. (lacht)

Beim "Zelten in der Natur" für die Reportage Überleben hat mich angesprochen, dass es eine Geschichte des Scheiterns ist. Letztendlich ist es nicht dazugekommen, so wie Sie sich vorgenommen haben, dass alles aus der Natur genommen wird und vorm Zelt verspeist wird...

Der Wille war willig...

Bei uns, in unserer Kultur das Scheitern, genauso wie das Fehler Machen ein Tabu geworden ist. Man darf in der Schule keine Frage stellen, weil dann hat der, der gefragt hat zugibt, dass er etwas nicht weiß und somit gescheitert ist. 

Auch darauf kann man Karrieren aufbauen und plötzlich ist man Vize-Kanzler und Finanzminister (Anmerkung d. Red.: zu diesem Zeitpunkt noch Michael Spindelegger) und weiß nicht warum.

Wie stehen Sie zum Scheitern im Leben?

Ich finde, man muss sich nicht extra darum bemühen, es kommt eh...

Das ist die beste Antwort, die man geben kann. Wie ist es zum Kolumnen- und Reportagen schreiben gekommen. Die Beschäftigung mit dem Essen, mit der Nachhaltigkeit im Essen... 

Das hat sich über die Jahren hinweg entwickelt. Ich habe 15 Jahre lang im Kurier eine Kolumne geschrieben. Und diese Kolumne hat begonnen im Falstaff, vor etwa 15 Jahren, weil mein Interesse für Wein und weil ich mit Weinbauern bekannt und richtig befreundet bin und kenne seit Jahren den Peter Moser, der für Falstaff den Wein-Guide schreibt. Vor einigen Jahren kam die Idee, dass eine satirische letzte Seite ganz gut wäre, und die haben Florian Scheuba und ich gemeinsam geschrieben. Nach dem Falstaff-Relauch von Herausgeber Rosam hat uns das Magazin nicht mehr so gefallen und Á la Carte fanden wir das deutlich attraktivere Heftl und sind mit der Kolumne übersiedelt. Bei dieser Gelegenheit fragte ich den Chefredakteur, ob ihn eine Reportage interessieren würde. Mit Ingo Pertramer (Anm. d. Red.: Fotograf) wollte ich schon länger zusammen arbeiten und dann sind wir mit der Schweindl-Geschichte eingestiegen.

Was ist Ihr Lieblingsessen? 

Das kann ich so nicht sagen. Ein sehr breites Spektrum.

Was macht gutes Essen aus?

Gute Zutaten, sachkundige Zubereitung und so viel Zeit wie das Essen eben braucht. Das kann sehr wenig oder sehr viel sein.



© Christian Prenner Photography
Noch einmal zum Programm zurück, da arbeiten Sie mit viel technischen Raffinessen, mit Blitz und Musik, Rauch und dann nur mit Ihnen auf der Bühne, schwarz, Mikro und sonst nichts. Da prallen zwei Welten aufeinander.

Mir war es wichtig zu überraschen. Wenn man auf die dramaturgisch raffinierten Seiten meiner Arbeit steht, ist man in der Pause von meinem Programm etwas enttäuscht und am Ende der zweiten Hälfte sehr begeistert. Es gibt immer unterschiedliche Meinungen. Ich fand aber, dass das doch logisch zusammen gehört. Ich habe die Form des Stand-Up zu spielen begonnen und es eher zitiert. Ich bin kein großer Fan vom meisten was man im deutschen Privatsender von Comedy sehen kann, aber ich bin gerade am Überlegen ob ich nicht ganz bewusst meine Liebe zur verzwickten Dramaturgie beiseite lasse und so einen reinen Stand-up Abend mache. Das wären ganz andere Herausforderungen, weil die dramaturgischen Klammern sind natürlich nicht einfach zu bauen, aber sie halten den Abend zusammen. Wenn's gelingt. Wenn du allerdings wirklich nur auf der Bühne stehst, ist das eine andere Form, wie auch die Amerikaner, die guten Comedians, stehen ja maximal 50 Minuten oben. Bei uns hat man sich an die zwei Hälften gewöhnt, da muss man sich eigentlich in der 2. Hälfte etwas einfallen lassen, weil mir wär das persönlich etwas zu wenig. Aber wir werden sehen. Nächstes Jahr gibt's ja ein neues Programm...

Das freut mich. Wenn Sie das „neue Programm“ mit einem Satz beschreiben, sagen Sie:

Das ist in einem Satz ganz einfach nicht möglich.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit und viel Spaß in Krems! 

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